JFMH – Die vermessen(d)e Bildung: Teil 1 – Web Literacies für Wissenschaftler

Als Auftakt zum Jungen Forum für Medien in der Hochschulentwicklung (JFMH), auf dem ich einen Vortrag zum Thema „Forschungsdesign für ein Beschreibungsmodell zur Durchführung Öffentlicher Wissenschaft“ halten werde, hier schon ein paar Gedanken vorab.

Das JFMH findet am 10.-11. Juni 2016 an der Technischen Universität Darmstadt statt und fokussiert auf „Die vermessen(d)e Bildung: Möglichkeiten und Risiken digital vernetzter Technologien“. Interessierte können hier das Tagungsprogramm anschauen bzw. herunterladan.

Kurze Anmerkung: Es ist mir wichtig, mein Forschungsdesign bereits während eines sehr frühen Stadiums öffentlich zu präsentieren und Feedback zu erhalten – auch wenn es noch nicht perfekt ausgearbeitet ist. Als Nebeneffekt erhalten Interessierte auf diese Weise Einblick in den Forschungsverlauf und können sich ein Bild über meine persönliche Haltung als Forscherin machen. Schließlich möchte ich öffentliche Wissenschaft leben und nicht nur davon sprechen.

Das ist Teil 1 meiner Gedanken zum Veranstaltungsthema. Die erste Version meines Papers „Web Literacy für Wissenschaftler“ ist diesem Beitrag angehängt. Ich habe die Publikation anschließend auf Basis der Feedbacks der Gutachter noch weiter fokussiert. Mehr dazu dann in Teil 2. In den beiden Beiträgen werde ich versuchen, die Entwicklung meiner Gedanken zum Thema noch einmal systematisch nachzuspielen. Neben den bereits genannten Vorteilen stellt die öffentliche wissenschaftliche Arbeit für mich eine wichtige Form der Dokumentation dar. So geht nichts verloren und ich kann in einigen Monaten noch einmal nachschauen, welche gedanklichen Wege ich bereits gegangen bin.

 

Was Web Literacy und Mode-2 Wissensproduktion gemeinsam haben

Worum geht es mir gerade? Wo stehe ich? Warum entscheide ich mich für den Titel „Web Literacy für Wissenschaftler“, wenn es um die vermessen(d)en Anteile meines Themas, der öffentlichen Wissenschaft, geht?

Wissenschaftler sind diejenigen, die Verantwortung für korrekten und ethischen Umgang mit Wissen tragen. In Zeiten der Internetgesellschaft kommen sie nicht mehr darum herum, ihr Wissen online zu organisieren. Sie sind zunehmend mit Herausforderungen konfrontiert, die das mit sich bringt. Die Wissensorganisation im Onlinebereich bezieht sich dabei auf kollaborative sowie auf offene und öffentliche Tätigkeiten im Rahmen der Inhaltsrecherche, Inhaltsproduktion, Forschungstätigkeit und Inhaltsverteilung.

Aktuelle Forschungsergebnisse zum Thema bestätigen, dass die so genannte Mode-2 Wissensproduktion noch lange nicht gängige Praxis ist. Es ist wenig hilfreich, tradierte Forschungsprozesse und –methoden in den Online-Raum zu übertragen, denn hier gibt es ganz andere Voraussetzungen und Gesetzmäßigkeiten. Der 1994 von Helga Nowotny, Peter Scott und Michael Gibbons geprägte Begriff beschreibt treffend, wie gravierend unterschiedlich die Wissensorganisation online und offline stattfindet.

Vielen Wissenschaftlern ist das bewusst. Sie tun sich aber schwer damit, gewohnte Prozesse aufzugeben und sich neuen Formen der Wissensorganisation zu öffnen. Es fehlt ihnen zudem an Erfahrung bei der praktischen Umsetzung. Onlinekompetenzen müssen erlernt werden. Von dieser Notwendigkeit sind Wissenschaftler nicht ausgenommen. Gerne werden Vorannahmen getroffen wie „Wissenschaftler wüssten und könnten alles und müssten daher nichts mehr lernen“. Doch wie soll ein Wissenschaftler, der noch nie in einer Online-Community integriert war, wissen, wie er sich souverän in einem für ihn völlig neuen Umfeld zurechtfinden kann, in dem ganz andere als die ihm bekannten Gesetzmäßigkeiten gelten?

Web Literacy ist ein von der Mozilla Community geprägter Begriff. (An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Heinz und an Thomas, die die Initialzündung gegeben haben, mich mit diesem Thema näher zu beschäftigen) Ein als „Web Literacy Map“ bezeichnetes Framework wird von einer globalen Community kontinuierlich und gemeinschaftlich weiterentwickelt. Das Framework bezieht sich dabei nicht nur auf praktische Tätigkeiten, wie das gemeinschaftliche Benutzen von Online-Tools, sondern berührt auch soziokulturelle Bereiche.

Mozilla Web Literacy Map
Mozilla Web Literacy Map

Web Literacy für Wissenschaftler: Sind zusätzliche Kompetenzen nötig?

Während Mozillas Web Literacies auf nicht-wissenschaftliche Prozesse im Web abzielen und die Erstellung und Rezeption von Inhalten sowie die Partizipation an Kollaborationsprozessen zum Inhalt haben, kommen für Wissenschaftler weitere wesentliche Aspekte hinzu: Neben der wissenschaftlich-systematischen Recherche von Online-Forschungsdaten und -quellen, rückt die wissenschaftliche Forschungstätigkeit – d.h. nicht nur das Speichern und Veröffentlichen, sondern das Generieren von Forschungsdaten im Onlinebereich – immer weiter in den Vordergrund. Dieser Aspekt wird von der Web Literacy Map nicht abgedeckt.

Die Produktion von wissenschaftlich fundiertem Wissen im Online-Raum hat ja nicht nur den gemeinschaftlichen Diskurs oder das gemeinschaftliche Entwickeln von Publikationen (bzw. anderen Artefakten) zum Gegenstand, sondern fokussiert zusätzlich darauf, Forschungsdaten online zu sammeln, zu speichern, verfügbar zu machen und – das ist der entscheidende Faktor – im Rahmen von Forschungsarbeiten, die ebenfalls online stattfinden, in valides, reliables und objektives Wissen zu transferieren. Online generierte Forschungsdaten, oder ein Mix aus online und offline generierten Forschungsdaten, werden zunehmend in Forschungsdesigns eingebunden. Dies eröffnet ganz neue Möglichkeiten, gängige Forschungsmethoden um neue Onlineformen zu erweitern, wirft aber angesichts der fast unbegrenzten Möglichkeiten, mit etwas technischem Verständnis und Geschick an Nutzerdaten zu gelangen und aus diesen Forschungsdaten zu generieren, ganz neue Fragen rund um Ethik und Sorgfaltspflichten von Wissenschaftlern auf.

Neben Fähigkeiten zur gemeinschaftlichen Wissensorganisation sind also zusätzlich Literacies im Bereich der Onlineforschung gefragt. Schnell können in ihrem Namen Grenzüberschreitungen stattfinden, die zunächst einmal gar nicht als solche erkannt werden. Zu neu ist der Bereich und oft fehlt der empathische Blick dafür, dass hinter Daten in der Regel Menschen stecken. Gerade online werden nicht selten im Namen der Forschung Menschen irritiert, verletzt,  verunsichert, etc. Es besteht die Gefahr, dass kritische Begebenheiten in online-Forschungssettings viel eher verharmlost werden, als wenn sie offline stattfinden. Ein Beispiel hierfür sind Falschinformationen, die skrupellos zu Forschungszwecken über das Internet verbreitet werden. In nicht-online Umgebungen wäre so etwas undenkbar. Online geht ein kurzes Raunen durch die Menge und anschließend geht man zur Tagesordnung über.

Hinter Forschungsdaten stecken immer Menschen

Im Bereich der Web Literacies für Wissenschaftler werden daher noch viel mehr, als in herkömmlichen Kollaborationsszenarien, empflindliche Bereiche wie Datenschutz berührt. Aber auch der gewissenhafte und sensible Umgang mit den Menschen, die hinter den Daten stecken spielt eine entscheidende Rolle. Web Literacy für Forscher ist auch Sensibilisierung für ein Forschungsfeld, das einerseits große Nähe zu den Probanden zulässt, andererseits aber zu unbedachtem Verhalten verführt. (siehe hierzu auch meinen Beitrag zur Ethik in der Onlieforschung)

Wissenschaftler, die über Web Literacies verfügen, sollten in der Lage sein, eine Synthese herzustellen, zwischen den Gesetzmäßigkeiten von Online-Welten einerseits, sowie den Gesetzmäßigkeiten wissenschaftlich fundierter Wissensproduktion andererseits. Zielsetzung einer Web Literacy Map für Wissenchaftler und deren Vermittlung ist es demnach, einen wissenschaftlich tätigen Personenkreis zu befähigen, offenes, öffentliches und wissenschaftlich fundiertes Wissen kollaborativ zu generieren. Dabei ist es von großer Wichtigkeit, dass Online-Forscher die Auswirkungen ihres forschenden Tuns sehr genau einschätzen und entsprechend souverän handeln können. Hierzu ist Erfahrung nötig. Denn gerade die soziokulturellen Elemente von Online-Welten lassen sich, wenn überhaupt, nur schwer aus Büchern lernen. Schulungen für Wissenschaftler in diesem Bereich gibt es kaum. Das ist erschreckend, wenn man bedenkt, dass die Onlineforschung stetig zunimmt und von Wissenschaftlern immer mehr Onlinekompetenzen gefordert sind.

Und mehr noch – verwoben mit Online-Forschungsmethoden beginnen sich neue Forschungsparadigmen herauszukristallisieren. Diese sind höchst umstritten, aber auch das gehört dazu. (vgl. Kuhn 1962) Im nächsten Blogpost werde ich mich mit den neuen Methoden beschäftigen und damit, wie ich diese in mein Forschungsvorhaben integrieren möchte.

Orientierung und Metainfo

Das ist Teil 1 einer zusammengehörenden Serie von Blogposts, die mein Forschungsvorhaben beschreiben
Teil 2: Forschungsdesign für ein Beschreibungsmodell zur Durchführung Öffentlicher Wissenschaft
Teil 3: Open-Science: Angewandte Forschung und konkrete Umsetzung des Anwendungsbeispiels

Anbei das Paper in Version 1. Version 2 folgt im nächsten Blogpost.

JFMH-2016_Hueber_v1

Download des Papers

 

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