Republica 2012 in Berlin

Spaß hat es gemacht, vor allem wegen der fruchtbaren Gespräche mit vielen schon bekannten und neuen Menschen, die sich Gedanken über die Netzwelt machen und diese (mit-) teilen wollen. Während des Schreibens mischte sich mir ganz klammheimlich und unbemerkt etwas Nachdenkliches zwischen die Zeilen. Entwickelt hat sich daraus ein Plädoyer gegen Innovation um jeden Preis.

Die Republica ist kommerziell geworden. Die Veranstaltung fühlt sich nicht mehr an wie ein BarCamp. Dazu ist sie auf den ersten Blick zu groß, zu voll und zu unpersönlich. Getränke gibt es für 2 Euro. Überall zeigen sich Sponsoren. Man fühlt sich wie auf einer Konferenz oder Messe. Viel Raum für spontane Sessions scheint bei all der „Durchorganisation“ nicht mehr zu bleiben.

Doch anders ist es nicht zu bewerkstelligen, wenn 3 Tage lang auf 8 „Stages“ ununterbrochen Vorträge oder Diskussionsrunden zu organisieren sind. Die meisten Themen sind interessant und innovativ. Die Darbietung schwankt je nach Thema, Redner/in, Raum und Zeit. Vielfalt ist angesagt, in jeder Hinsicht. Und das ist gut so.

Republica 2012
Republica 2012 im alten Postgebäude in Berlin

Nachdem der erste „Schock“ angesichts der galaktischen Dimensionen überwunden ist, die ersten Bekannten entdeckt und getroffen wurden, wird es plötzlich wieder heimelig. Es entsteht ein Sub-Netzwerk innerhalb des 3000 Mann und Frau-Starken Innovatorennetzes: das ganz persönliche, eigene Netzwerk-Zuhause. Twitter sei dank, die Welt ist wieder in Ordnung.

Und los geht es nach erster Orientierungsphase endlich mit den interdisziplinären Inhalten. Über den Tellerrand schauen, die eigene Wissensdomäne nur am Rande berühren. Das eigene Gedankenuniversum soll ja nicht selbstreferentiell bleiben. Neue, ganz artfremde und wissensintensive Themen erweitern den eigenen Orbit.

Es ist unmöglich alle Beiträge zu hören, doch selbst wenn man nicht anwesend ist, werden wichtige Themen durch Gespräche weitergetragen. Das ist das Spannende: Gedanken werden geäußert, vermischt und es entsteht etwas ganz Neues – Ganz nach meiner Devise „das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“.

Zugegeben, die Selbstorganisation der Sessions hat nachgelassen. Nur noch in ganz kleinen spontanen Clustern am Rande der Republica wird sie sichtbar. Und doch ist sie noch vorhanden – in den Köpfen aller Teilnehmer. Die Gespräche, Tweets, Blogbeiträge sind es, die einen subjektiven und dann doch wieder sehr selbstorganisierten Prozess anstoßen. Es macht nichts, wenn manche Themen schon einmal diskutiert wurden, denn es geht ja darum, dass jeder Gedanken-Orbit das für ihn noch fehlende Puzzlestückchen aus dem Gros an Meinungen, Informationen, Bildwelten ziehen kann.

Die Republica bleibt ein Innovationsindikator und Innovationsgenerator. Der Grad an Innovation insgesamt mag schwanken, doch bleibt es jedem selbst überlassen, die kleinen Innovationsperlen zu finden, die überall dort versteckt sind, wo man sich die Mühe macht, genau hinzuschauen und nachzufragen. Denn Innovation findet im eigenen Kopf statt. Sie ist dort, wo nachdenkende Menschen sich treffen. Sie ist keinesfalls etwas, das sich passiv konsumieren lässt. Der innovationssuchende Mensch findet überall Anregungen.

Leider kam mir meine Lieblingsjacke abhanden. Irgend jemand hat sie wohl mitgenommen? Daran merkt man leider doch, dass sich etwas Grundlegendes geändert hat. Auf einem heimeligen BarCamp würde NIEMALS, NIEMALS, NIEMALS jemand eine Jacke mitnehmen. Etwas schade fand ich, dass der Republica Twitter-Account meinen Tweet nicht retweetet hat, in dem ich darum bat, dass mir der Finder die Jacke doch bitte übergeben möge. Das ist der Preis, der für die Kommerzialität und die großen Dimensionen gezahlt wird.

Der Verlust einer Lieblingsjacke ist aus Sicht des Kommerzes nicht von Bedeutung. Mit ihr geht für mich persönlich aber schmerzhaft ein Stück Vertrauen verloren. Meine „Sub-Community“ war aber dann doch so nett, den Jacken-wiederfind-Tweet zu retweeten. Das hat mich versöhnt. Leider hat es nichts genutzt. Die Jacke war weg. Sie fiel der Anonymität der Masse zum Opfer. Möge die Person, die sie jetzt trägt glücklich damit sein. Ich trug die Jacke 4 Jahre und wir beide haben schon viel miteinander erlebt. Ein Stück ganz persönliche Geschichte hat den Besitzer gewechselt.

Dieses Stück persönliche Geschichte steht standhaft für die leise aber eindringliche Kritik an der gerade am eigenen Leibe erlebten Kulturindustrie. Werter Herr Adorno, Sie halten sich sehr hartnäckig über die Jahrzehnte. Dass mir etwas so Altes als ein derart innovativer Gedanke vorkommen könnte, hätte ich in diesem Zusammenhang nicht erwartet. Vielleicht geht es in Zeiten der Postmoderne gar nicht mehr um Innovation um jeden Preis, sondern vielmehr um den richtigen Gedanken zur richtigen Zeit, ganz egal, wer ihn schon einmal gedacht hat.

Ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass sich die Entwicklung aufhalten lässt. Es liegt in der Natur der Sache. Es wird sehr spannend sein zu beobachten, wie es mit der Republica 2013 weitergehen wird.

Weitere Beiträge und Meinungen zur Republica 2012 / #rp12

Link zur Webseite der Republica

Beitrag von Guido Brombach (Gibro)

Kritikkultur zur Republica 2012

Oliver Tacke, Raus aus dem Elfenbeinturm

Beitrag der Netzfaktorei zur Republica 2012

Die Sketch-Notes von Ralf Appelt zur Republica 2012

Frisch gebloggt, Katharina Kokoska von der Republica 2012

Digital Life zur Republica 2012

Zum Thema Wissenschaftliches Bloggen: Republica 2012

Wissenschaftliches Bloggen, Republica 2012

Bericht von 3 Sat zur Republica 2012

Mike Schwede zur Republica 2012

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